11 Erst einmal warm werden!

Gerade zum Jahresanfang sind die Bänke entlang der schönsten Joggingstrecken der Stadt wieder voll mit ihnen: Dort sitzen und hängen diejenigen, die zumindest in den ersten Wochen nach Neujahr ihrem Mehr-Sport-Vorsatz, treu geblieben sind. Die dem inneren Schweinehund einen Maulkorb verpasst haben und sich in ihre – sagen wir – spannenden. Sportklamotten gequält haben. Und die dann etwas Essentielles vergessen: Das Warm-Up! Es mag lächerlich aussehen und uncool sein, aber Muskelkater, Faserrisse und andere Verletzungen sind einfach auch kein echtes Zeichen für sportliches Heldentum. Wenn wir kreativ sein wollen, sollte auch unser Gehirn vorab auf Touren gebracht werden, um entsprechend wertvolle kreative Ideen, Gedanken und Ergebnisse produzieren zu können. In vielen Unternehmen finden Kreativ-Meetings häufig im direkten Anschluss an strategische Besprechungen statt. Das ist leider eher ungünstig, weil das Gehirn in der geschilderten Terminabfolge im analytisch-linearen Modus arbeitet, also in den Arealen aktiv ist, die – salopp gesagt – eher nicht kreativ denken können. Eventuell kennen Sie es, wie es sich anfühlt, wenn man zum Beispiel aus einem Finanz-Meeting direkt in das nächste stolpert, das einem plötzlich etwas ganz anderes abverlangt – beispielsweise irgendeine Art von Ideenfindung. Es gibt Menschen, die sich für solche Tage mehrere Persönlichkeiten zulegen – eine der ungewöhnlichsten Strategien, die mir im Bezug auf dieses Problem bisher begegnet sind. 11 Uhr Chief Financal Officer. 12 Uhr 30 Innovation Director.
Eine Art Job-Schizophrenie. Es geht, zum Glück, auch anders. Aber es ist schwierig, ein Gehirn, das eben noch rationalen Gedanken folgte, zum Querdenken zu motivieren. Immer wieder wird es wahrscheinlich probieren, logische Lösungen für die Aufgabenstellung zu finden. Kreativsein wird jetzt zu einer fast unmöglich bezwingbaren Herausforderung.

Untersuchungen ergaben, dass ein Warm-Up der kreativ denkenden Gehirnareale in solchen Momenten wahre Wunder bewirken kann und das Um-Switchen von Finanzplanung auf Ideenfindung, effektiv erleichtert.
Das Ganze dauert ein paar Minuten und schon ist das Gehirn in der Lage, sich wieder quer- und quasi über die Schädeldecke hinaus zu dehnen. Bevor ich zu den einfachen Methoden kommen werde, wie man sein Hirn für einen Kreativ-Warm-Up in die Hand nimmt, möchte ich an dieser Stelle die „thinking cap“, die Denk-Kappe des australischen Forschers Prof. Dr. Allan Snyder erwähnen (mit der kriegt das Gehirn nämlich einen Kreativschub ohne Gleichen – allerdings, bisher noch zeitlich begrenzt auf etwa eine Stunde).

Snyder vertritt die Auffassung, dass man enorme Kreativität freisetzen kann, wenn man das Gehirn in einen rudimentären Zustand versetzt, quasi in die Ausgangssituation, bevor das Lernen beginnt. Nennen wir es Neuro-Reset. Lernen ist nichts anderes als das Sammeln von Informationen, die im Folgenden zu einer Art Gesamtbild zusammengefügt werden. Wenn dieses Bild dann noch gedanklich einsortiert, also gerahmt und damit zementiert wird, können wir die Details nicht mehr sehen und verlieren damit einen wichtigen Baustein zum Kreativsein. Ein Schwerpunkt Snyders liegt auf der Forschungsarbeit mit Savants – zu Deutsch: „Wissende“. Das sind Menschen, die durch eine Hirnschädigung eine sogenannte Inselbegabung haben; es gibt etwa 100 von ihnen und etwas mehr als die Hälfte davon sind Autisten. In den meisten Fällen sind diese Menschen, trotz ihrer mehr oder weniger auffälligen Behinderung, zu beeindruckenden Leistungen in der Lage und außergewöhnlich kreativ. Es heißt, van Gogh, Einstein und auch Mozart wären Savants gewesen und deswegen auf ihren speziellen Fachgebieten zur Genialität gelangt. Ebenso wie der menschenliebende Kim Peek, der von seinem Vater „Kim-Puter“ genannt wurde, weil er so ziemlich alles abspeichern konnte, was er jemals gehört oder gelesen und gesehen hatte. Er war auch menschgewordene Inspiration für den Film „Rain Man“, in dem Dustin Hoffman einen Autisten mit einer außergewöhnlichen Begabung für Zahlen spielte. Den Oskar, den Hoffman für seine Rolle gewann, widmete er Kim Peek, dem er gesagt haben soll: „I may be the star, but you are the heavens.” Diese Marginalie erwähne ich übrigens nur, weil ich neulich las, dass sich unser „Normalo-Gehirn“ Informationen am besten merken kann, wenn man sie an Emotionen koppelt – ich bin gespannt, ob und wie lange, die rührende Geschichte bei Ihnen hängen bleibt …

Zurück zur Denk-Kappe: Snyder sagt, die meisten Menschen betrachteten höhere Mathematik, Musik und Kunst als Höhepunkte der Kreativität, die einen hohen IQ, großes Engagement und viel Übung erfordern würden. Das ist nicht wahr, wie man an den Inselbegabten sehen kann. Überdies geht Snyder so weit, zu behaupten, dass Savants die Welt so sehen könnten, wie sie wirklich ist – ohne irgendeine funktionelle Einschränkung, die das Durchschnittsgehirn mit sich bringt. Warum aber haben wir nicht alle diesen selbstverständlichen Zugang zu unserem kreativen Potential? Die Antwort ist: Weil unsere Gehirnleistung von Erfahrungen und Wichtig/Unwichtig-Filtern beeinflusst wird.

Man hatte beobachtet, dass Menschen zu Savants wurden und exzeptionelle Fähigkeiten entwickelten, wenn sie auf Höhe des linken Schläfenlappens verletzt wurden, zum Beispiel durch einen Unfall. Snyders Hypothese lautet demzufolge, dass das versteckte kreative Potential eines Menschen potenziert, beziehungsweise geweckt werden kann. Indem die Teile des Gehirns lahmgelegt werden, die für komplexere Denkprozesse zuständig sind. Der Forscher ist davon überzeugt, dass die linke Hirnhälfte im „normalen Leben“ die rechte unterdrückt.
Mit seiner thinking cap befreit er die Kapazitäten der rechten Hälfte, indem er die linken Areale durch elektromagnetische Impulse inhibiert. Während Areale der linken Hemisphäre also zurückgefahren werden, springen Segmente in der rechten Gehirnhälfte an, die dem Kappenträger erlauben, viel mehr Details aufzunehmen, abzuspeichern und in den Prüfungen nach der Impulsgebung signifikant besser abzuschneiden.

Wer nach seinem Strategiemeeting keine Denk-Kappe parat hat, kann sein Gehirn mit der Methode „Fat Chance“ auf kreative Touren bringen. Dafür überlegt man sich in kleinen Gruppen eine unlösbare Aufgabe, die obendrein noch in einem vollkommen unrealistischen Zeitraum erledigt werden soll: Wie könnte man bis zum Abend des nächsten Tages 3 Millionen Euro verdienen? Wie bringe ich Leonardo DiCaprio dazu, mir bis Ende der Woche einen Heiratsantrag zu machen? Mit welchen Mittel bringe ich Conchita Wurst bis Dienstag dazu, ihren Bart abzunehmen? Für die Lösung des Problems sollten der Phantasie keine Grenzen gesetzt werden – weder rechtliche, im Bezug auf die Geldbeschaffung, noch finanzielle (was kostet eigentlich ein DiCaprio-Double?!); keine der Antworten muss rational oder logisch nachvollziehbar sein. Das Ganze dauert fünf Minuten und angestrebt werden drei verschiedene Lösungsansätze pro Gruppe. Danach kann die „echte“ Kreativarbeit losgehen. Ein anderes Kreativ-Warming-Up möchte ich „Wozuistdas?“ nennen: Fünf unterschiedliche Gegenstände werden wahlweise aus dem Büro genommen oder von zu Hause mitgebracht und auf den Tisch gelegt. Nun wird überlegt, wozu die Dinge noch taugen, außer ihrer eigentlichen Bestimmung. Könnte ein Gürtel nicht zum Beispiel auch als Stirnbandhalter eines Kampfsportlers dienen? Übrigens wurde mit dieser Methode die Computermaus erfunden: Da hatte ein Tüftler nämlich angeblich an seinem Deoroller herumphilosophiert. Beide Übungen sind deswegen so effektiv, weil sie im Grunde unmöglich zu lösen sind und deswegen bringt unkreatives Denken an dieser Stelle niemanden weiter – man kann gar nichts anderes als kreativ zu werden.

Nun wissen Sie, wie Sie sich vor dem nächsten Kreativsein aufwärmen können – und dass sich bei den geschilderten Übungen auch noch die Stimmung hebt, ist nochmal ein ganz eigener Dünger für Ihre Kreativität.